Vorurteile über Verganer:innen gibt es viele. Sie beruhen aber kaum auf Tatsachen, sondern auf Unkenntnis oder auch Missverständnissen. Deshalb möchte ich heute die bekanntesten veganen Vorurteile und Mythen genauer beleuchten. Das hilft hoffentlich, dass die eine Seite die andere Seite besser versteht.
Inhalt
- 1. „Hitler war ja auch Veganer“
- 2. Veganer:innen wollen alle bekehren
- 3. Vegane Ernährung ist nicht für Babys, Heranwachsende oder, Schwangere geeignet
- 4. Veganer leiden unter Mangelernährung
- 5. Veganer müssen verzichten
- 6. Vegane Ernährung ist teuer
- 7. Vegane Ernährung macht den Regenwald kaputt
- 8. Veganer leiden unter Eiweißmangel
- 9. Vegane Ernährung ist nichts für Sportler:innen
- 10. Vegan leben, ist zu kompliziert
- Vegane Vorurteile sind Nonsens
- Quellen
1. „Hitler war ja auch Veganer“
Mit diesem Satz sollen vegan lebende Menschen abgewertet werden. Ihre Lebensweise wird gleichgesetzt mit der Nazi-Ideologie, frei nach der Logik: „Wenn ein menschenverachtender Diktator Veganer war, dann sind Veganer ebenfalls menschendverachtend.“
Was steckt hinter diesem Vorurteil?
Diese „Logik“ ist natürlich alles andere als folgerichtig. Warum sollte eine Ernährungsweise schlecht sein, nur weil ein Mensch, der Schlechtes tat, diese Ernährungsweise nutzt? Das ist keine logische Schlussfolgerung, sondern eine klassische Abwertungstaktik.
Jedoch hält sich dieses Vorurteil hartnäckig und wird interessanterweise meist von Menschen genutzt, die sich im rechts-nationalen Umfeld bewegen. Also in der Regel Hitler kaum verachten – eher das Gegenteil ist dort der Fall.
Was ist dran am Veganismus von Hitler?
Wahr ist, dass Hitler wohl einen Reizdarm hatte und deswegen eine Diät einhielt. Er aß wenig Fleisch, weil er schwere Blähungen und Krämpfe nach dem Essen bekam. Deshalb kochte ab 1933 eine eigene Diät-Köchin für ihn.[1] Doch vegan oder rein vegetarisch lebte er nicht, er aß beispielsweise Leberknödel.[2]
„Unter der Federführerschaft Joseph Goebbels’ bemühte man sich verbissen darum, Hitler als anti-alkoholischen, fleischarm lebenden und nicht-rauchenden Asketen darzustellen. Die angebliche Selbstkontrolle über den (Führer-)Körper sollte vorbildhaft symbolisieren, wie hingebungsvoll sich der „Führer“ in die Dienste des Reiches stellte.“[3]
Veganer war Hitler definitiv nicht und vorwiegend vegetarisch ernährte er sich wegen seiner Gesundheit. Zudem wurde seine Diät als Verzicht durch die NS-Propaganda zu einem Akt, der dem Wohle des deutschen Volkes dient, hochgejubelt. Also ist an dem Vorurteil „Hitler sei Veganer“ gewesen nichts dran. Und selbst wenn er es gewesen wäre, na und? Nur weil ein böser Mensch sich auf eine bestimme Weise ernährt, heißt das nicht, dass diese Ernährungsweise böse ist. Wie man da einen Zusammenhang herstellen kann, ist mir schleierhaft.
2. Veganer:innen wollen alle bekehren
Sicher, es gibt die rebellischen Teenager, die am Mittagstisch ihren Eltern erklären, wie Scheiße sie sind, weil sie Fleisch essen. Aber Teenager rebellieren ganz unabhängig vom Veganismus, der ist maximal ein willkommener Aufhänger. Dass ein Veganer die anderen Menschen bekehren will, ist ein dummes und sehr altes Vorurteil. Vielmehr ist es so:
“Praktisch alle Veganer berichten aber auch von unangenehmen Erfahrungen, die von Unverständnis bis hin zu Aggressionen von Personen aus ihrem Umfeld reichen. Diese Ablehnungserfahrung belastet zum Teil derart, dass der Kontakt zu Freunden und Familienmitgliedern abgebrochen wird.”[4]
Vegan lebende Menschen versuchen aufgrund von diesen Ablehnungserfahrungen ihre Lebensweise eher zu verschweigen, statt sie hinauszuposaunen. Wer hat schon Lust sich bei jedem Restaurantbesuch auf die immer gleichen Diskussionen mit Fleischessern einzulassen? Die meinen es ja angeblich immer nur gut mit ihrem „Ernährungswissen“, was besagt, wie schlecht die vegane Ernährung ist. Aber eigentlich wollen sie nur ihr eigenes schlechtes Gewissen beruhigen. Den meisten Menschen ist inzwischen sehr wohl bewusst, unter welchen Bedingungen Nutztiere gehalten werden, welche gesundheitlichen Risiken der Konsum von Fleisch, insbesondere Wurst, birgt und wie verheerend die Auswirkungen der Massentierhaltung auf die Umwelt sind.
3. Vegane Ernährung ist nicht für Babys, Heranwachsende oder, Schwangere geeignet
Dass die vegane Ernährung maximal für gesunde Erwachsene geeignet ist, ist ebenfalls ein beliebtes und gängiges Vorurteil. Wohl deshalb, weil auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung diesen Standpunkt teilt.[5] Interessanterweise sagen die Ernährungsgesellschaften der USA, Portugals, Kanadas, Australiens oder Großbritannien etwas anderes. So schreibt etwa die USA:
„Diese Ernährungsweisen [vegan, vegetarisch] sind angemessen für alle Lebensabschnitte inklusive der Schwangerschaft, Stillzeit, dem Säuglings‑, Kindes- und Jugendalter sowie für Senioren und Athleten.“[6]
Nun sind die USA ja nicht dafür bekannt, Fleischverzicht zu prädigen, aber bei der Betrachtung des Veganismus sind sie und die anderen genannten Länder wesentlich weiter als Deutschland.
Es gibt natürlich Gründe, weshalb die DGE die vegane Lebensweise nicht komplett für Kinder oder Schwangere empfiehlt. Das liegt unter anderem daran, dass deutsche Böden kaum Selen enthalten. Getreide und Gemüse, was darauf wächst, enthält deshalb relativ wenig dieses wichtigen Spurenelementes. In den USA sieht das ganz anders aus. Dort sind die Böden sehr selenhaltig und Veganer:innen können ihren Selenbedarf ohne Probleme über Getreide und Gemüse abdecken. Tierzuchtbetriebe in Deutschland geben Selen ins Futter. Dieses Selen wandert dann ins Schnitzel eines Fleischessers. Dabei wäre es auch möglich, Selen in den Dünger zu tun und so unsere Böden selenhaltiger zu machen, so wie es in Finnland gemacht wird. Hier können Veganer:innen ihren Bedarf, genau wie in den USA, problemlos abdecken.[7]
In Deutschland müssen vegan Lebende deshalb mehr auf die Selenzufuhr achten. Aber generell ist es auch mit Gemüse, Getreide, Nüssen usw. möglich, den Bedarf abzudecken. Das gilt dann auch für Schwangere und Kinder. Vielleicht denkt ja Deutschland um und macht es vegan lebenden Menschen bald einfacher, die Zufuhr wichtiger Mineralstoffe abzudecken. Wobei in aller Regel Veganer:innen sehr gut über Ernährung informiert sind. Sie wissen genau, auf was sie achten müssen.
4. Veganer leiden unter Mangelernährung
Das Klischee, dass vegane Ernährung eine Mangelernährung ist, ist extrem weit verbreitet. Doch Fakt ist, dass „die Summe der Positionspapiere und Veröffentlichungen in der ernährungswissenschaftlichen Literatur […] zeigt in der Mehrheit […], dass eine vegane Ernährung bei guter Planung in jeder Phase des Lebens bedarfsdeckend ist und darüber hinaus mit einigen gesundheitlichen Vorteilen im Vergleich zur westlichen Mischkost einhergehen kann.“[8]
Es ist sogar so, dass von allen Ernährungstypen (Veganer, Vegetarier, Mischköstler) Veganer:innen das beste Ernährungswissen aufweisen.[9] Mischköstler haben ein geringeres Wissen, welche Nahrungsmittel gut für sie sind. Das bedeutet, dass Veganlebende sehr wohl um die potenziellen Lücken in ihrer Ernährung wissen und sie ausgleichen. Mischköstler haben auch Lücken in ihrer Ernährung bzw. ernähren sich zu einseitig, wissen aber nichts davon. Im höheren Alter leiden sie dann unter den Folgen dieses Wissensmangels.
5. Veganer müssen verzichten
Veganismus verbinden viele Menschen mit Verzicht. Keine Restaurantbesuche mehr, keine Grillpartys mehr, kein Eis mehr und, und, und. Sicherlich galt das vor 15 Jahren noch. Doch inzwischen gibt es selbst in kleineren Städten in den meisten Restaurants auch veganes Essen. Bei der Suche nach solchen Restaurants helfen beispielsweise Apps. Bei einer Gartenparty können mariniertes Gemüse oder vegane Grillwurst oder Burger-Pattys auf den Grill wandern. Fleischersatz zu einem mehr als fairen Preis gibt es sogar im Discounter (ausgenommen Norma). Eis bieten fast alle Eisdielen inzwischen auch als vegane Variante an. Also viel verzichten muss da niemand. Aber natürlich gibt es Einschränkungen, doch die meisten kannst Du mit ein wenig Kreativität ausgleichen. Und frag Dich bitte selbst: „Leben ich, um zu essen? Oder esse ich, um zu leben?“
6. Vegane Ernährung ist teuer
Dieses Vorurteil bestätigt sich nur, wenn man sich ausschließlich von veganer Schokolade, Fleisch- und Käseersatz ernährt. Das ist allerdings nicht sehr gesund und sollte eine Übergangslösung sein, um sich den Weg vom Omnivoren zum Veganer leichter zu machen. Setzt ihr hingegen auf Gemüse und Obst der Saison und die entsprechenden Getreide, Nüsse und Pilze, dann ist vegane Ernährung meist sogar richtig preiswert oder zumindest nicht teurer als die der Fleischesser und Kuhmilchtrinker.
7. Vegane Ernährung macht den Regenwald kaputt
Das für den Soja-Anbau Regenwald gerodet wird, das ist bekannt. Da liegt der Schluss nahe, dass Veganer:innen mit ihrer „Gier“ nach Tofuschnitzeln daran Schuld seien, dass jetzt überall Regenwald gerodet wird. Das richtig gehend Quatsch.
„Etwa 77 % der weltweiten Sojaernte dient als Tierfutter der industriellen „Tierproduktion“ – überwiegend in der Form von Schrot (auch Sojamehl oder Sojaextraktionsschrot genannt). Das Schrot war ursprünglich ein Nebenprodukt der Sojaöl-Herstellung. Inzwischen ist es jedoch das lukrativere Produkt des Sojaanbaus, zumal eine Tonne Soja rund 80 % Schrot und nur 18 % Öl hergibt. Das Öl findet in Lebensmitteln wie Margarine und immer mehr als Agrotreibstoff Verwendung. Nur ein Bruchteil der Sojaernte steckt in offensichtlichen Sojaprodukten wie Tofu (2,6 %) und Pflanzenmilch (2,1 %).“[10]
Weiterhin nutzen die europäischen Lebensmittelhersteller für ihre Sojaprodukten kein Soja aus Regenwaldgebieten, sondern europäisches Soja.[11] Für Veganer:innen stirbt kein Regenwald für Fleischesser dafür umso mehr.
8. Veganer leiden unter Eiweißmangel
„Nur in Fleisch ist Eiweiß, was der Mensch verwerten kann, deshalb leiden Veganer:innen unter Einweißmangel“, diesen Mythos glauben viele Menschen. Und sie haben zum Teil recht, tierisches Eiweiß kann unser Körper besser verwerten. Allerdings kann unser Körper pflanzliches Eiweiß ebenso verwerten, nur nicht ganz so gut. Da braucht es eben ein wenig mehr. Und da 100 Gramm Seitan 28 Gramm Eiweiß pro 100 Gramm (ein Steak liefert 18,6 Gramm Eiweiß auf 100 Gramm) liefern oder rote Linsen ca. 12 Gramm oder Tofu durchschnittlich 15 Gramm Eiweiß auf 100 Gramm, kommen vegan lebende Menschen auf mehr als genug Eiweiß.[12] Zumal in der westlichen Welt nicht der Eiweißmangel ein Problem ist, sondern dass die meisten Menschen zu viel Eiweiß zu sich nehmen.[13]
9. Vegane Ernährung ist nichts für Sportler:innen
Gerade unter Sportlerinnen und Sportlern hält sich das Gerücht, dass Veganer keine Höchstleistungen im Sport vollbringen können. Dabei beweisen Menschen wie die veganen Ultramarathonläufer Scott Jurek und Florian Neuschwander das Gegenteil. Auch der Kraftsportler Patrik Baboumian zeigt, dass Vegan und Sport sehr, sehr gut zusammenpassen.
10. Vegan leben, ist zu kompliziert
Vegan leben ist kompliziert? Wie war es denn mit Deiner jetzigen Lebensweise? Bist Du als Baby aus Deiner Mutter herausgeschlüpft und wusstest sofort, wie man kocht, backt und einkauft? Nein, Du musstest es lernen – meist durch Anschauen und Nachahmen. Das kannst Du genauso mit der veganen Lebensweise machen. Du willst etwas kochen? Dann schau auf Youtube nach einem einfachen veganen Rezept. Du weißt nicht, was vegan ist? Dann helfen Dir beispielsweise diese Apps. Es gibt da ganz viele Möglichkeiten in das vegane Leben zu starten. Und denke dran: Du musst nicht alles auf einem Können, gehe in Deinem Tempo vor.
Vegane Vorurteile sind Nonsens
Wahrscheinlich werden Omnivoren (Mischköstler) diesen Text sowieso nicht lesen. Aber Du als vegan lebender Mensch hast vielleicht durch meine Recherchen ein paar Argumente gefunden, um gegen Vorurteile und Mythen antreten zu können.
Was sind Deine Erfahrungen? Mit welchen „veganen“ Vorurteilen hast Du schon zu kämpfen gehabt. Schreib mir, ich freue mich auf Deine Nachricht: simon@vegan-shop.de
Quellen
[1] Vgl. Vice: „War Hitler wirklich Vegetarier und ist denn das nicht völlig egal?“ von Vanessa Guertler, 22.06.2015, https://www.vice.com/de/article/vvxnea/war-hitler-wirklich-vegetarier-und-ist-denn-das-nicht-vollig-egal, Abruf am 15.05.23
[2] Vgl. Kommission “Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“: „War Hitler Vegetarier? Eine Anekdote als Aufgabe für Historiker“ von Moritz Hoffmann, 25.02.2015, https://ns-ministerien-bw.de/2015/02/war-hitler-vegetarier-eine-anekdote-als-aufgabe-fuer-historiker/, Abruf am 15.05.2015
[3] Vegan.at: „Hitler war Nichtraucher! (Aber kein Vegetarier.)“ von Elisa Ludwig, 10.05.2015, https://www.vegan.at/inhalt/hitler-war-nichtraucher-aber-kein-vegetarier, Abruf am 15.05.23
[4] S. 13, Bundesinstitut für Risikobewertung: „Vegane Ernährung als Lebensstil: Motive und Praktizierung. Abschlussbericht“ von Mario Hopp, Tamara Keller, Stefanie Lange (hopp Marktforschung),
Astrid Epp, Mark Lohmann, Gaby-Fleur Böl (alle BfR), Berlin 2017, https://mobil.bfr.bund.de/cm/350/vegane-ernaehrung-als-lebensstil-motive-und-praktizierung.pdf, Abruf am 07.02.23
[5] Vgl. Deutsche Gesellschaft für Ernährung: „Ergänzung der Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu veganer Ernährung hinsichtlich Bevölkerungsgruppen mit besonderem Bedarf an die Nährstoffversorgung“, 04.09.2020, https://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/dge-position/vegane-ernaehrung/?L=0, Abruf am 15.05.23
[6] S.19, „Vegan-Klischee ade!“ von Niko Rittenau, Ventil Verlag UG, 6. Auflage, 2019, https://www.ventil-verlag.de/assets/pdf/Vegan_Klischee_ade_reinlesen.pdf, Abruf am 15.05.23
[7] Vgl. ebd. S. 20 – 21
[8] ebd. S. 22
[9] Vgl. S.85, BACHELORARBEIT „Veganer, Vegetarier und Mischköstler im Vergleich – Inwiefern besteht ein Zusammenhang zwischen Ernährungsstil und Ernährungswissen?“ von Tjitske Schrieks, 27.02.2019, https://reposit.haw-hamburg.de/bitstream/20.500.12738/9102/1/Schrieks_geschwaerzt.pdf, Abruf am 15.05.23
[10] Albert-Schweizer-Stiftung: „Warum Sojawurst nicht dem Regenwald schadet“, 01.06.2018, https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/warum-sojawurst-nicht-dem-regenwald-schadet, Abruf am 15.05.23
[11] Vgl. ebd.
[12] Vgl. Focus online: „Vegane Ernährung: 9 Vorurteile im Faktencheck“, 19.01.2022, https://www.focus.de/gesundheit/ernaehrung/vegetarisch_vegan/mythen-im-faktencheck-vegane-ernaehrung-9-vorurteile-im-faktencheck_id_40724671.html, Abruf am 15.05.23
[13] Vgl. Der Standard: „Menschlicher Urin wird immer mehr zum Umweltproblem“ von David Rennert, 11.08.2022, https://www.derstandard.de/story/2000138173566/proteinreiche-ernaehrung-macht-menschlichen-urin-zum-umweltproblem, Abruf am 15.05.23